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Der Rasputin von Bonn
 
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Reportage


Alarmierende Intoleranz

Britische Parlamentsabgeordnete und Wissenschaftler nach Untersuchungen in Deutschland schockiert



[Picture] ''U nglaublich“ und „bestürzend“ sei das Ausmaß an politisch gebilligter Diskriminierung in Deutschland - so äußerte sich eine Delegation britischer Menschenrechtsexperten nach einer Untersuchung vor Ort.

     Die fünf Mitglieder des Komitees erklärten, sie seien insbesondere darüber schockiert gewesen, daß deutsche Regierungsvertreter auf Befragen daran festhielten, es gäbe in Deutschland „keine Diskriminierung“, obwohl eindeutige Beweise für eine Unzahl an Verletzungen internationaler Menschenrechtsabkommen, die Deutschland ratifiziert hat, vorliegen.

     Ebenso ernüchternd sei für sie die Tatsache gewesen, daß niemand, auch nicht die deutschen Regierungsvertreter, mit denen sie gesprochen hatten, logisch nachvollziehbare Gründe oder Beweise, die die Anti-Sekten-Hysterie rechtfertigen würden, liefern konnte.

     In seinem Abschlußbericht versuchte das Komitee, diesem Widerspruch auf den Grund zu gehen: „Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß im September 1996 die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einige insbesondere gegen die Scientologen vorgeschlagenen Maßnahmen kritisiert hat; sie entsprächen einem ,Denkraster’, bei dem ,Verfassungsprinzipien, freiheitlicher Rechtsstaat, Zurückhaltung der Staatsgewalt’ keinen Platz hätten. Individuelle Rechte würden so ausgehebelt und der Verfassungsschutz verkomme zur ,Gesinnungspolizei’.“

     „In anderen Worten“, so das Komitee weiter, „die frühere Justizministerin geht davon aus, daß die Vorgehensweise gegen Sekten auch ein Mittel darstellt, den Schutz der Verfassung für alle Deutschen auszuhöhlen“ - Sekten und Scientology als willkommener Anlaß, bisher nicht durchsetzbare Forderungen im Bereich der „inneren Sicherheit“ zum Durchbruch zu verhelfen.

     Den Menschenrechtlern war das eine plausible Erklärung für die ansonsten unerklärlich irrationale und verfassungswidrige Kampagne der deutschen Regierung.

     Der Irrtum der Amtskirchen

     Die Delegation bestand aus den Lords McNair und Hylton, Mitglieder des britischen House of Lords, Professor Anthony Flew, emeritierter Professor der Reading University, Dr. Dennis O’Keefe, Dozent für Soziologie und Pädagogik an der University of North London und David Rosser-Owen, Autor und Dozent für Religion und Theologie.

     Das „Sonderkomitee zur Untersuchung von Diskriminierungen religiöser und ethnischer Minderheiten in Deutschland“ hatte sich als Reaktion auf die heftige Kritik am Umgang der Bundesregierung mit den Menschenrechten gebildet. Offiziell Ausdruck verliehen wurde dieser Kritik zum Beispiel in den Berichten für die Jahre 1994 und 1995 des „UN-Sonderberichterstatters für die Einhaltung der Erklärung zur Beseitigung aller Formen der Intoleranz und Diskriminierung auf der Grundlage von Religion und Überzeugung“ und in einer Veröffentlichung der Human Rights Watch/Helsinki mit dem Titel „Deutschland den Deutschen - Ausländerfeindlichkeit und rassistische Gewalt in Deutschland“.

Der veröffentlichte Bericht des Untersuchungskomitees unter Leitung von Lord McNair beginnt mit der Feststellung, seine Mitglieder seien  „völlig unvorbereitet von dem unglaublichen Ausmaß an  Vorurteilen, Diskriminierung und sogar Verfolgung getroffen worden, über das die Zeugen berichteten      Das Untersuchungskomitee hielt sich im September 1996 in Deutschland auf und hörte Vertreter von 17 Minderheiten, die politisch motivierter Diskriminierung ausgesetzt sind, sowie Vertreter des Bundesverfassungsschutzes und des Justizministeriums.

     Obwohl ihnen die Berichte über Menschenrechtsverletzungen bekannt waren, äußerten die Mitglieder des Komitees in ihrem Untersuchungsbericht, sie seien „völlig unvorbereitet von dem unglaublichen Ausmaß an Vorurteilen, Diskriminierung und sogar Verfolgung getroffen worden, über das die Zeugen berichteten“.

     Das Komitee ging auch den Vorwürfen nach, daß ein Hauptanteil der Hysterie, die erzeugt wird, um Menschen davon abzuhalten, sich neuen Wegen der Spiritualität zuzuwenden, auf die katholische und die evangelische Kirche zurückzuführen ist, die seit Jahren unter Mitgliederschwund leiden. Untermauert wird diese Annahme durch den Umstand, daß die etablierten Kirchen mindestens 140 „Sektenbeauftragte“ eingesetzt haben, deren Aufgabe darin besteht, in ganz Deutschland diffamierende Propaganda über „Sekten“ zu verbreiten.

     Überrascht zeigte sich das Komitee auch „über die Millionen Mark und die unzähligen Arbeitsstunden, die in diese Kampagnen gegen Minderheitsreligionen investiert werden“.

     „Wir sind zu der zwingenden Schlußfolgerung gelangt“, heißt es in dem Bericht weiter, „daß die Macht des Staates und des Kirchenapparates gegen diese Minderheitsreligionen aufgebracht wurde ..., um sie zu zerstören.“

     Bombendrohungen

Das britische Komitee sprach auch mit zwei anerkannten deutschen Akademikern - Prof. Dr. Löw, Universität Bayreuth, und Prof. Krumholz, Freie Universität Berlin. Beide drückten Bestürzung und Besorgnis über die Intoleranz in Deutschland aus. Und beide meinten, die Vorwürfe gegen Minderheitsreligionen glichen Hexenjagden, die auch Erinnerungen an die 30er Jahre wecken.

     Das Komitee fand auch, daß viele der Gruppierungen, die in Deutschland verfolgt werden, in anderen Teilen der Welt für ihre gemeinnützige Tätigkeit anerkannt werden. Die Christliche Gemeinde Köln beispielsweise ist eine charismatische Gemeinschaft, deren Lehre sich nicht von der „einiger anerkannter Kirchen in England“ unterscheidet, so der Bericht. Aber in Deutschland werden sie als extremistische „Sekte“ attackiert. Nach einer heftigen Medienkampagne erhielten sie Mord- und Bombendrohungen, einer ihrer Priester wurde sogar mit einem Messer angegriffen.

     Die Kölner Behörden haben auch ein Verfahren zum Entzug der Rechtsfähigkeit eingeleitet. In dem Bescheid der Stadt heißt es, die Gemeinschaft würde im kulturellen, religiösen, sozialen oder geistigen Bereich für die Gesellschaft keinen Beitrag leisten. Dabei nehmen seit vielen Jahren an jedem Wochenende durchschnittlich 1200 Kölner an den Gottesdiensten dieser Kirche teil - eine Gemeinde ganz beachtlicher Größe, mit deutschen Bürgern, die der Überzeugung sind, daß man sich dort um ihre spirituellen Belange kümmert.

     Deutschland verliert den Anschluß

     Eine der interviewten Gruppen waren die Anhänger von Sri Chinmoy, einem hinduistischen Philosophen, Sportler und Meditationslehrer. Ihre Mission besteht daraus, mittels Literatur, darstellender Kunst, Musik, Sportveranstaltungen und Treffen mit führenden Persönlichkeiten eine Botschaft des Weltfriedens zu verbreiten.

     Die Mitglieder, die von dem Untersuchungskomitee besucht wurden, legten eindeutige Beweise für Diskriminierungen vor. So wurden ihnen zum Beispiel Einrichtungen für Sportveranstaltungen und Konzerte ohne Angabe von Gründen verweigert. Ein Sportzentrum verbot ihnen sogar die Benutzung der Duschen, obwohl die Gruppe einen Marathonlauf in der Gegend veranstaltet hatte.

     Die Vertreter von Sri Chinmoy legten der Delegation Anerkennungsschreiben vor, die von Persönlichkeiten aus aller Welt an ihren Gründer gerichtet waren. So schrieb Papst Paul VI. an Sri Chinmoy: „Unser Treffen war sehr wichtig. Ihre Botschaft und meine Botschaft sind dieselbe.“ Und im Brief von Papst Johannes Paul II. heißt es: „Ich bin für Ihren Besuch sehr dankbar. Gott segne Sie und all Ihre kontemplativen Aktivitäten.“ Angesichts dieser Anerkennungen sind die diametral entgegengesetzten Reaktionen in Deutschland völlig unbegreiflich.

     Das britische Komitee sprach auch mit zwei anerkannten deutschen Akademikern - Prof. Dr. Löw, Universität Bayreuth, und Prof. Krumholz, Freie Universität Berlin. Beide drückten Bestürzung und Besorgnis über die Intoleranz in Deutschland aus. Und beide meinten, die Vorwürfe gegen Minderheitsreligionen glichen Hexenjagden, die auch Erinnerungen an die 30er Jahre wecken.

     Aber deutsche Regierungsbeamte wiesen jeglichen Vergleich mit der dunklen Vergangenheit Deutschlands mit Nachdruck zurück. Das Komitee hingegen bemerkte durchaus Parallelen. Es habe sich „ein unausweichliches Gefühl“ aufgedrängt, was Politiker, die keinerlei Anhaltspunkte für Diskriminierung in Deutschland sehen konnten oder wollten, wirklich dachten: „Hitler ist mit den Sekten falsch umgegangen, wir nicht. Wir gehen das in einem strengen gesetzlichen Rahmen an.“

     „Skinheads in Maßanzügen“.

     Das Komitee traf sich auch mit Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Es fragte ihn nach seiner Meinung über Berichte in der englischen Presse kurz nach der Wiedervereinigung, die auf eine stetige Zunahme von Skinhead-Angriffen auf Ausländer, Gastarbeiter, Asylanten und Behinderte hinwiesen. Bubis äußerte, die Zahl echter Skinheads sei tatsächlich recht gering, die wirkliche Gefahr seien die „Skinheads in Maßanzügen“ - in Anlehnung an ein berühmtes Zitat von Günter Grass. Die Unterstützung für antisemitische Ideologien habe in den letzten Jahren stark zugenommen, aber anstatt sich offen zu faschistischen Ideologien zu bekennen, würden diese Leute von „Recht und Gesetz“ sprechen.

     Der Bericht des Untersuchungskomitees schließt mit einer Formulierung seiner Absicht: „Konstruktive Kritik und umsetzbare Vorschläge zu liefern, damit die deutsche Regierung, die sich im Zentrum einer einzigartigen Dynamik mit langer Tradition befindet, Möglichkeiten der Verbesserung sehen kann. Nur dann kann sie sich selbst und die, für die sie verantwortlich ist, korrigieren und effektiv an einer festen Grundlage für demokratische Stabilität und Fortschritt im 21. Jahrhundert bauen, in einem zunehmend ,kleineren’ Europa, in dem wir mehr und mehr aufeinander angewiesen sind und fähig sein müssen, einander zu vertrauen.“Ende


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