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Der Rasputin von Bonn
 
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Titel






D er ursprüngliche Rasputin - jener aus dem winzigen sibirischen Dorf Pokrovskoje - stammte von bäuerlichen Eltern ab und erhielt eigentlich keinerlei Ausbildung. Indem er den Aberglauben seiner Zeit rücksichtslos ausnutzte, schaffte er es, in den chaotischen Jahren, bevor Rußland in die Revolution des Jahres 1917 stürzte, beträchtlichen politischen Einfluß auszuüben.

     Obgleich unwissend in politischen Angelegenheiten, bahnte er sich seinen Weg an den russischen Zarenhof - und zwar mittels seines eigenfabrizierten Rufs als Gottesmann. Seine manipulativen Fähigkeiten waren dermaßen ausgeprägt, daß er es fertigbrachte, weiterhin eine orthodoxe Einstellung vorzutäuschen, während er theologische Prinzipien tatsächlich so verdrehte, daß sie zu seinen Absichten paßten. Seine wichtigste Regel war, daß man „sündigen solle, so daß man Vergebung erlangen könne“. Die sexuellen und politischen Orgien, die daraus hervorgingen, sind sprichwörtlich.

     Schließlich begriffen sogar Rasputins politische Anhänger, daß sie hinters Licht geführt worden waren. Der verrückte Mönch entpuppte sich als Klotz am Bein der untergehenden Dynastie. Wo seine theologischen Ansichten auch immer etwas zu bedeuten hatten, in der Politik hatten sie nichts zu suchen.

     Woran man sich bei dieser geschichtlichen Episode noch erinnert, sind - neben Rasputins „Wunderheilungen“ - seine Eigenwerbung in Sachen politischer und ökonomischer Klugheit, die tatsächlich nur eine List war, um seine tatsächlichen Motive zu rechtfertigen und zu verschleiern.

     Dies bringt uns zu unserem zeitgenössischen Rasputin. Er stammt aus Bonn. Und genauso wie bei dem Mann, dessen Vermächtnis er zu übernehmen scheint, haben wir wieder jemanden vor uns, der behauptet, über Politik und Wirtschaft bestens Bescheid zu wissen - dabei finden sich sein Wissen und seine Interessen in gänzlich anderen Bereichen.

     Die Jagd nach Andersgläubigen

     Als Bundeskanzler Kohl kürzlich sein Versprechen zurückzog, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, signalisierte er damit, daß er den letzten Funken an Vertrauen in den dafür verantwortlichen Mann verloren hat: Arbeitsminister Norbert Blüm - der Bonner Rasputin, der das Problem eigentlich hätte lösen sollen.

     Mit vier bis sechs Millionen arbeitslosen Deutschen - je nachdem, welcher Statistik man glaubt - erfreut sich Herr Blüm des traurigen Rekords, der Arbeitsminister mit der schlimmsten Arbeitslosenkatastrophe in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg zu sein. Diese Tatsache sollte nicht so einfach weggewischt oder entschuldigt werden. Es kann nicht bloßer Zufall sein, daß in 50 Jahren Friedenszeit ein Arbeitsminister mehr Menschen außerhalb des Erwerbslebens vorzuweisen hat als frühere Perioden, obwohl damals die meisten Fabriken und Betriebe im Land unbrauchbare Trümmerhaufen waren.
Ursula Caberta, Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology in der  Hamburger Innenbehörde, prahlte gegenüber der Los Angeles Times damit, sie betrachte es als Ehre, daß man sie als den neuen Goebbels bezeichnet habe.      Unter diesen Umständen müßte man eigentlich erwarten, daß der verantwortliche Minister alle nur denkbaren Maßnahmen ergreift, um Arbeitsplätze für diejenigen, die ihn gewählt haben, zu schaffen. Blüm aber scheint gar nicht daran zu denken. Wie seinerzeit der Mönch aus Pokrovskoje versteht Blüm offenbar sehr wenig von ökonomischen Zusammenhängen. Statt dessen verwendet er einen nicht geringen Teil seiner Zeit dafür, seine abwegigen theologischen Auseinandersetzungen auszufechten.

     Während Blüm bei den Aufgaben, zu deren Bewältigung er eigentlich eingesetzt ist, völlig versagt, verbringt der katholische Theologe seine von den Steuerzahlern finanzierte Zeit mit einem von ihm allein ausgerufenen Kreuzzug gegen imaginäre Häretiker.

Als ich ins Hotel fahre, klirren die Fensterscheiben. Bravo Bravo. Wie alte große Hütten brennen die Synagogen. Deutsches Eigentum ist nicht gefährdet.-- Tagebucheintrag zur Reichskristallnacht  -- Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda,  November 1938      In Deutschland dürfte jeder, der Zeitung liest, mit Blüms endlosen Schimpfkanonaden gegen Minderheitsreligionen vertraut sein. Sie richten sich vor allem, aber nicht ausschließlich, gegen die Scientology Kirche.

     Daß diese Kampagne nichts mit dem Problem der Arbeitslosigkeit zu tun hat, ist offensichtlich. Aber diese Tatsache entlarvt auch, wie blind Blüm im Hinblick auf die tatsächlichen Verantwortungsbereiche seiner Position geworden ist, und wie wenig Verbindung er noch mit den normalen Leuten hat, die tatsächlich unter den Folgen seines Versagens als Arbeitsminister leiden.

     Nichts könnte dies deutlicher machen als ein Zusammentreffen zweier Ereignisse am 2. Dezember letzten Jahres. Es war natürlich ein Arbeitstag, an dem Blüm sich seinen Rasputinschen Aufgaben widmete. Da predigte er vor einem ebenso spärlichen wie trübseligen Häufchen Getreuer aus der Jungen Union, die sich vor der Scientology Kirche Hamburg zusammengefunden hatten. Während seine Zuhörer im Dauerregen immer erbärmlicher dreinblickten, wiederholte Blüm monoton und unverständlich seine intoleranten Schmähreden durch ein Megaphon.

     Am selben Tag bestätigte der Oberstaatsanwalt in Hamburg, daß er ein Strafverfahren gegen die Scientology Kirche eingestellt habe, das von Blüms bigotter Mitstreiterin, Ursula Caberta y Diaz, angestrengt worden war. Dieses Strafverfahren, das sich auf die von Blüm noch immer gepredigten Behauptungen stützte, war bereits im Jahr 1994 eingestellt worden. In der 30seitigen Entscheidung wurde damals ausgeführt, daß intensive Nachforschungen keinen Beweis für ein Fehlverhalten hervorgebracht haben. Ursula Caberta und ihre Freunde hatten gegen die Einstellung Beschwerde eingelegt. Dann, genau am gleichen Tag, als Blüm dieselben unbegründeten Behauptungen wiederum aufstellte, betonte der Staatsanwalt, daß die Beschwerde verworfen worden sei - und zwar wiederum weil nach einer weiteren zweijährigen Untersuchung kein Beleg gefunden werden konnte, der die Anschuldigungen gestützt hätte.

     Um die Ironie zu vervollständigen, wurde Blüm während seiner „Demonstration“ gefragt, warum er seine wertvolle Zeit vergeude, anstatt das Arbeitslosenproblem anzugehen, und vor allem warum ein Antrag auf eine Enquete-Kommission zur Lösung des Beschäftigungsproblems von der CDU abgelehnt worden sei.

     Blüm antwortete, daß er keine Enquete brauche, „weil die Lösungen klar sind, sie müssen nur durchgeführt werden“. Falls dies zuträfe und Blüm alle Antworten bereits hätte, aber einfach dasäße, um darauf zu warten, bis sie durchgeführt würden, so wäre es geradezu fahrlässig von ihm, seine Zeit mit etwas anderem zu vergeuden.

     Aber es ist natürlich nicht der Prediger Blüm, der die Kampagne zur Ausrottung von Minderheitsreligionen vorantreibt, sondern es ist der Rasputin nacheifernde Theologe Blüm, der seine politische Macht mißbraucht, und zwar für Aktionen, die er offenbar für einen Dienst an seiner eigenen Kirche hält.

     Allein in einem Jahr verlieren die katholische und evangelische Kirche zusammen mehr als 400.000 Mitglieder. Anstatt die wirklichen Gründe für diesen Exodus herauszufinden, haben die etablierten Kirchen sich für jenen Pfad entschieden, auf dem sich Blüm und seinesgleichen so gut auskennen: die Kunst, die Aufmerksamkeit von den eigenen Fehlschlägen abzulenken, indem sie die Inquisition wieder ausgraben und den „Ketzern“ den Krieg erklären.

     Die Angelegenheit nimmt geradezu peinliche Ausmaße an, wenn Blüm und seine Mitstreiter vehement zu protestieren beginnen - dann nämlich, wenn diejenigen, die sie verfolgen, den Finger in die Wunde legen und Verleiche mit der jüngeren deutschen Geschichte ziehen.

     Wenn man als vernünftiger Mensch tatsächlich daran gehen will, zum Kern des „Sektenproblems“ vorzudringen, muß man auch einige Tatsachen zur Kenntnis nehmen, und man muß sie auch objektiv betrachten, bevor man sie - möglicherweise - zurückweist.

Der RASPUTIN von BONN, Fortsetzung...


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