Rechenspiele eines Psychiatrie-Gutachters
? + ? = 75?
„Vergessen Sie nicht die beantragten Subventionen – und die Gefahrenzulage!! Bei dem, was wir alles so als geheilt entlassen, kann man sich ja nicht mehr auf die Straße trauen.“
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Wie kommt er auf diese Zahl? Die Frage ist berechtigt.
In der Prognose, stellte Nedopil einmal fest, gingen Zweifel „zu Lasten des Täters“. Und gezweifelt wird oft. Wie aber kann der Gutachter wissen, ob er jemanden zu Unrecht für Jahre in der geschlossenen Psychiatrie begräbt? Er kann es nicht wissen! Theoretisch könnten alle, denen er die Freiheit verwehrt, zu Unrecht weiter einsitzen. Viele tun es auch, wie einschlägige Studien zeigen. Damit scheidet die eine Hälfte, die weiter Weggesperrten, als feste Berechnungsgrundlage aus.
Bleiben die angeblich Rehabilitierten und Geheilten. Wer zählt hier zur „Trefferquote“? Jemand, der ein Jahr lang nicht vergewaltigt? Jemand, der vier Jahre lang keine Kinder schändet? Oder müssen es schon zehn Jahre sein? Oder 30? Laut Nedopils eigener Studie sind Sexualstraftäter jahrzehntelang(!) rückfallgefährdet. Oder zählen alle Entlassenen sofort auf der „Trefferquote“? Jeweils bis zur nächsten Tat?
Eine „Trefferquote“ von 75% ist schlimm, wenn man bedenkt, was die anderen 25% bedeuten. Schlimmer ist aber, dass dieser Prozentsatz durch nichts wirklich belegt werden kann. „Niemals“, zitiert die Süddeutsche Zeitung die Gutachterszene, „sei zweifelsfrei zu klären, wann eine vorzeitige Entlassung zu verantworten sei.“ Im Klartext: Auch hier fehlt jeglicher verlässliche Bewertungsmaßstab.
Die tatsächliche „Trefferquote“ ist folglich nicht höher als bei jeder einfachen Chance, also der Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten, bei denen man nicht weiß, welche die richtige ist. Das erklärt auch, warum in einschlägigen Studien (siehe Artikel „Justiz im Würgegriff“) völlig unkundige Laien bessere Werte bei der Beurteilung von Tätern erzielen konnten als die vorgeblichen Experten.
Da sich bei 100 Prozent aller psychiatrischen Gutachten die Frage nach ihrer Richtigkeit stellt, kann man schwerlich auch von „Restrisiko“ sprechen, besonders nicht bei der Beurteilung von Sexualstraftätern. „Russisches Roulette“, wie ein Richter es einmal nannte, trifft die Wahrheit schon eher.
Dass trotzdem vergleichsweise wenig passiert, ist kein Verdienst der Psychiatrie. Bei weitem nicht jeder Sex-Täter ist ein Wiederholungstäter. Die wenigen aber, die es sind, sind es ganz offensichtlich auch nach psychiatrischer Behandlung, vielleicht sogar wegen ihr. In Ländern mit hoher psychiatrischer Dichte im Strafvollzug, wie in den Vereinigten Staaten, in denen selbst herkömmliche Strafgefangene mit psychiatrischen Drogen traktiert werden, ist die Rückfallquote für Kriminelle am höchsten.
Psychiatrische Gutachter wie Norbert Nedopil müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass ihre Zunft kaum etwas von dem zu leisten vermag, was sie vorgibt. So viel steht fest. Fest steht auch, dass er und seine Kollegen trotzdem so genannte Gutachten für horrende Summen erstellen – und sich als Experten ausgeben, obwohl sie keine sind.